Klar, dass Mama sich Sorgen macht. Vor drei Tagen ist Lisbeth mit dem Schlitten gegen einen Baum gefahren. Sie hat sich den Kopf gestoßen. Nun liegt sie zu Hause immer noch mit geschlossenen Augen im Bett. Der Doktor schüttelt nur den Kopf, wenn er sie untersucht. Lisbeths Mama läuft jetzt dauernd mit roten Augen umher.
Sie selbst hat keine Angst. Denn beim Schlittenfahren passt Wilhelm immer gut auf sie auf. Sie liebt ihren großen Bruder, der die Kappe schief auf dem Kopf trägt und mit Vaters alten Stiefeln durch den Schnee stapft. Nur heute kann sie ihn nicht finden. Sie läuft und läuft, sucht alle Hügel in der Umgebung ab. Manchmal erblickt sie Kinder, aber sie sind viel kleiner als Wilhelm und tragen bunte Wollmützen.
Deshalb gibt sie nun die Suche auf und will wieder heim. Denn inzwischen ist ihr kalt bis auf die Knochen. An der Straßenecke bleibt sie stehen und sieht sich verwirrt um. Wo geht es nur lang zum Elternhaus? Es scheint, sie hat sich verirrt. Sie biegt nach rechts ab. Weit kann es eigentlich nicht mehr sein.
Plötzlich hebt sie den Kopf, saugt tief die Luft ein. Mit dem Duft nach frisch gebackenem Brot, hellen Brötchen überschwemmt sie ein warmes Gefühl. Jetzt ist sie gleich da, in der Bäckerei ihrer Eltern. Wo Mama hinter der Theke steht und verkauft. Während Papa immer neue Bleche mit Brötchen und Kuchen aus der Backstube herbei bringt. Ihr geliebter Papa, dessen Haut nach Vanille riecht, wenn er sie abends auf den Knien wiegt und sie den Kopf an seine Brust lehnt. Der ihr die süßen Kringel zusteckt, die sie so gern isst.
Sie folgt dem Geruch, stößt die Ladentür auf, steht mitten in Wärme und Geborgenheit. Einen Moment schließt sie die Augen, genießt das Gefühl.
Jemand berührt sie sacht am Arm, führt sie zu einem Stuhl. Die Frau, die hinter der Ladentheke hervor gekommen ist, hat sie noch nie gesehen. Jetzt drückt die Frau ihr einen Becher mit heißem Kaffee in die Hand. Sie ist freundlich, lächelt und nickt. Mama ist nirgends zu sehen, auch Papa nicht. Jetzt wendet sich die Frau über die Schulter an ein junges Mädchen: „Britta, rufen Sie doch bitte mal im Altersheim an, Frau Wolfhardt ist schon wieder hier. Sie sieht völlig verfroren aus. Die haben die Ärmste anscheinend ohne Mantel spazieren gehen lassen, bei den Temperaturen. Es soll sie bitte rasch einer abholen."